Montag, 9. April 2012

Krankenhaus oder liegen lassen?

Vor ein paar Tagen war ich bei ein paar anderen Freiwilligen und wir verbrachten einen gemütlichen Nachmittag mit ein paar leckeren einheimischen Früchten und weiterem Essen. Mein kleinster Gastbruder und ein Mädel, welches ebenfalls mit bei uns im Haus wohnt, waren mit mir dort.

Wir machten uns später zu dritt wieder auf den Heimweg. Nicht weit von dem Haus der anderen Freiwilligen sahen wir jemanden auf der Straße liegen. Es ist so, dass rechts und links der Straße üblicherweise die Abflusskanäle sind, in die man bei Unachtsamkeit auch hineinfallen kann (das hat ein anderer Freiwilliger schon geschafft und ebenso stand vor kurzem in der Zeitung, dass das auch einem Politiker passiert war). Am Rand der Straße und knapp neben dem Kanal lag ein Junge von etwa 15 Jahren. Er lag dort und machte keinen guten Eindruck. Andere Passanten erklärten mir, dass er verrückt sei und damit hatte es sich für sie. Ich schaute ihn mir genauer an und sah eine Wunde mit Blut an seiner Wange, ebenso eine am Bein und am Knöchel. Ebenso hatte er sich eingenässt. Ansprechbar war er nicht, jedenfalls reagierte er nicht auf mich, was ich gut an seinen Augen sehen konnte. Ich fühlte mich etwas überfordert und auch alleine in der Situation, da ja sonst niemand dafür zu haben war, sich mit mir um den Jungen zu kümmern.

Zum Glück war keine 100m entfernt ein Krankenhaus. Ich erklärte meinen beiden Kindern eindringlich, dass sie  bei dem Jungen bleiben sollten, schwang mich aufs Rad (das habe ich mir hier von einem Freund (und ebenfalls Schülers meiner Schule) meines ältesten Gastbruders ausgeliehen). Im Krankenhaus fragte ich nach einem Arzt. Es war keiner da, doch konnte ich einer Krankenschwester mein Anliegen schildern. Sie nahm es zur Kenntnis, zeigte aber auch nicht so viel Motivation, sich um den Jungen zu kümmern zu wollen. Sie fragte, wo er wäre und ich sagte ihr, dass man ihn vom Krankenhaus-Tor aus sehen könnte. Ich lief dorthin voraus und sie kam in Ruhe hinterher. Besonnen zu handeln mag sicher gut sein, doch schien mir dass hier nicht der Grund der Langsamkeit zu sein. Als wir dort standen kam außerdem noch ein Krankenpfleger des Krankenhauses hinzu, so dass ich erneut der Vorfall schilderte. Ich erwähnte ebenso, dass er alle paar Minuten zu zittern und zu verkrampfen begann, was mir dann mit Epelepsie erklärt wurde. Zwei Männer waren außerdem zu uns gekommen und erklärten mir, warum es schwierig werden würde, sich um den Jungen zu kümmern. Der Grund wäre nämlich, dass dann jemand die Kosten für die Behandlung tragen müsste und die dann auf den Helfer zukommen würden, wenn man von der hilfebedürftigen Person nichts bekommen könnte. Jedenfalls kamen sie nicht mit mir zu dem Jungen und ich wollte auch nicht ins Blaue zusagen, die Kosten zu übernehmen.

Ich fuhr wieder zu dem Jungen, schickte meine Begleitungen nach Hause und fuhr zu dem Haus unserer Partnerorganisation nicht weit entfernt, da ich nun nicht wusste, wie ich weiter vorgehen sollte. Ich sagte den beiden Krankenhausmitarbeitern etwas missmutig im Vorbeifahren "Me ba" (bedeutet so viel wie: ich komme wieder).

Der Mitarbeiter der Organisation war leider nicht da, doch konnte ich mit seiner Frau sprechen. Sie Verstand sehr wohl, dass es mein Anliegen war, irgendwie zu helfen, konnte mir aber nichts Neues sagen. Die Leute unternehmen halt nichts wegen des Geldes, aber auch bei Leuten die "verrückt" sind. Ich sollte nach Hause gehen.

So einfach konnte ich die Sache aber nicht auf sich beruhen lassen. Ich fuhr wieder zurück und traf unterwegs eine andere Freiwillige, die ich über den Vorfall informierte. Es tat mir einerseits Leid, sie da mit hineinzuziehen, war aber andererseits auch froh nun jemanden zu haben, der die Sache ebenso wie ich sah.

Wir gingen zusammen zu dem Jungen und ich versuchte wieder mit ihm zu sprechen, doch reagierte er weiterhin nicht auf meine Ansprachen. Dafür sammelten sich nun wieder mehr Schaulustige um uns an. Diese wurden von der anderen Freiwilligen "angesprochen" (wenn man es weich formulieren möchte), wie sie denn denn nicht helfen könnten.

Einige ratlose Zeit und Anfälle des Jungen später kamen wir zu dem Schluss, es doch doch einmal mit dem Krankenhaus zu versuchen. Er durfte nun kommen; eine Trage gab es nicht, so dass ich ihn zum Krankenhaus auf meinen Armen trug. Es war besprochen worden, dass nur die Wunden gesäubert und er gewaschen werden sollten. Während der Zeit gingen wir Freiwilligen los und versuchten neue Kleidung für den Jungen zu besorgen. So gab es neue Wäsche und nun auch Flip-Flops. Den beiden Krankenschwestern (der Pfleger nannte sich auch "nurse") brachten wir als Dankeschön noch Eis mit.

Da wir nicht mit der Idee einverstanden waren, den Jungen einfach wieder auf die Straße zu setzen, schlug der Pfleger vor, auf die Straße zu gehen und uns umzuhören, ob ihn jemand kennen würde. Bei der zweiten Person wurden wir schon fündig. Die Frau brachte und durch einen 10-Minuten-Marsch zu der Familie des Jungen. Große Bestürzung konnte ich bei der nicht feststellen. Die Mutter bedankte sich ohne weitere Emotionen. Ihre Kinder mit aufgeblähten Hungerbäuchen standen daneben. Ein Junge und eine Schwester des Jungen begleitete uns, ihn abzuholen. Die (jüngere) Schwester trug ihn dann ebenso wie ich auf den Armen fort und es hieß, dass man ihn nicht mehr hinauslassen würde. Das mag sicher vor solchen Dingen wie heute schützen, ob das gut ist, ist aber auch fraglich. Ich war erstaunt, dass das Mädchen den Jungen den ganzen Weg tragen wollte, war er doch um einiges länger als mein Trageweg und selbst da wurde er mir schon schwer.

Ein paar Tage nach diesem Vorfall sprach ich nun doch noch mit dem Ansprechpartner meiner Partnerorganisation und er erklärte mir, dass die Ghanaer eigentlich immer schnell zur Stell sind, wenn bei Unfällen oder so geholfen werden muss. So hatte ich mal erlebt, wie ein Mädchen auf die Straße und dabei gegen die Seite eines fahrendes Autos gelaufen ist. Sie lag dann kurz auf der Straße und wurde sogleich von umstehenden geschnappt und in das Auto verfrachtet. Der Fahrer brachte sie zum Krankenhaus. Auch ansonsten wir einem gerne geholfen, wenn man Hilfe braucht.

Für die kleine Behandlung im Krankenhaus mussten wir nichts bezahlen. Ob es daran lag, dass wir Weiße waren, mag sein, doch weiß ich es nicht. Oder daran, dass die andere Freiwillige noch einmal im Krankenhaus nachgefragt hatte. Der Pfleger ließ sich später gerne noch ihre Nummer geben. Meine auch, doch wohl eher aus Höflichkeit – jedenfalls hatte er sich bei mir noch nicht gemeldet :)

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